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TEIL I: 8. WOCHE – LETTLAND: MEHR - MEER - WASSER

25. - 31.07.2021

Tag am Meer

Wir fahren nach Jurmala, um dort den Strand zu genießen. Zwei Nächte stehen wir in einem Wohnviertel auf einer Straße, die direkt zum Wasser führt. Ein Tag am Meer steht uns bevor und der Moggelmann freut sich auf das Sandburgenbauen. 

 

Ich nicht. Ich finde Sandburgenbauen schrecklich. Ich kann nicht erklären warum, denn wenn ich an den Strand schaue, scheint es eigentlich allen Kindern zu gefallen und somit wie eine natürliche Veranlagung zu sein. Aber bei mir fehlt dieses Gen. Vielleicht sollten wir beginnen, alle Menschen darauf zu testen? Wer weiß, wie viele Abnormale wir finden würden? Welche Inzidenz sich hier ergeben würde? 

Böse Steine!

Ganz in der Nähe von Jurmala liegt der Nationalpark Kemeri mit seinen ausgedehnten Feuchtgebieten (wieso nur fällt mir bei diesem Begriff immer Charlotte Roche ein?), Lagunen-Seen und Sümpfen (www.latvia.travel/de/sehenswurdigkeit/wanderpfad-im-grossen-kemeri-moor). Wir fahren mit dem Rad die 15 km zum Ausgangspunkt für den bekannten Rundweg auf einem 5 km langen Holzsteg. 

Der Moggel fährt dieses Mal mit seinem Rädchen und hält tapfer durch, bis er kurz vor dem Ziel auf einem unbefestigten Wegstück fällt und nie, nie, nie mehr im ganzen Leben nach Lettland will! „Nie! Hörst Du, Mama?“.

 

Ein großer Stein auf der Schotterstraße hat ihn abgedrängt. Böser, böser Stein! Ich kann ihn völlig verstehen und wir schimpfen eine ganze Weile auf diese dumme Straße. Er darf natürlich ab da in den Anhänger sitzen. Bis wir auf dem Steg ankommen, hat er sich wieder gefangen und erzählt fast die ganzen 5 km über von all den Booten, die wir uns kaufen sollen. Und war da nicht noch irgendetwas mit einem Elektro-Schwimm-Schwan? Und nicht zu vergessen: Der Jet-Ski... "Dschädschi" - wie der Opa Hans zu sagen pflegt. 

"Dschädschi"

Wie es der Zufall so will, sehen wir auf dem Rückweg mitten im Wald an einen Baum genagelt ein Werbeblatt für einen Jet-Ski-Verleih. Nicht, dass überall in Lettland an den Bäumen in den Wäldern Werbung hinge. Es ist die einzige Werbung, die ich bislang mitten in der Natur gesehen habe. Also wirklich eine Art Zufall... aber – tadaa – unser nächstes Abendteuer ist gebongt. Ich notiere die Nummer und wir machen uns am Abend auf zu einem kleinen, süßen See im Nirgendwo. Es ist wirklich sehr romantisch dort und die Location muss ein Geheimtipp für Einheimische sein, aber mir ist alles das viel zu klein für so ein großes Abendteuer. Wenn wir dort 30 Minuten Jet-Ski fahren sollen, können uns 90 Mal im Kreis drehen.

 

Ich sage dem Anbieter daher ab und wir machen uns daran den Werbeflyer für Campingplätze zu studieren, den wir in Riga mitgenommen haben. Wir telefonieren, versuchen im Internet zu recherchieren, binden unsere Basis-Kräfte in Deutschland in die Suche mit ein und werden dann tatsächlich fündig am Usmas-See, einem der größten Seen Lettlands. Da unsere Route ja von unseren Interessen und nicht irgendwelchen festgelegten Plänen geleitet wird, fahren wir bis in die Nacht hinein dort hin. Unterwegs sehe ich – das Kind schläft schon – Felder über Felder, Heuballen noch und nöcher und unzählige Störche. 

Schade, dass sie in Deutschland so selten sind, denn ich finde, dass Störche sehr schöne Tiere sind. Farblich, von den Proportionen her, wegen der Art, wie sie abheben und fliegen, selbst ihre Nester gefallen mir; und nicht zu vergessen: Störche sind zumindest bruttreu. Bewundernswert aufgrund ihrer Monogamie dagegen wären Schwarzbrauenalbatrosse, Brillenpinguine, Anemonenfische, Gelbwangen-Amazonen und Schabrackenschakale. Aber die sehen halt alle nicht so gut aus wie der Storch! Vom Namen will ich gar nicht erst anfangen... Also kein Wunder, dass die lebenslang treu sind... Weil das beim Storch ja anders ist – er sieht toll aus –, bewundere ich ihn für seine Bruttreue. Ist doch schon mal was: Bruttreue!

Gleich nach dem Frühstück erreichen wir unser Ziel, den Campingplatz Usmas Meki (www.usmasmeki.lv), und erhalten um 11.00 Uhr schon die Einführung ins Jet-Ski fahren. Alle Bedenken waren umsonst: Es ist mega leicht und macht unheimlich Spaß. Dem Moggel und vielleicht noch mehr mir. Ich weiß, dass Jet-Skisfür die Tierwelt und den Umweltschutz wirklich eine Zumutung sind, aber die Wahrheit ist, dass es mir dennoch Spaß gemacht hat. Riesigen Spaß sogar!

Zurück ins Meer...

Am Mittwoch morgen leihen wir bei Tom von Usmas-Meki Camping noch ein Tretboot mit Rutsche, da der Moggel sich das wünscht und ich mir vorgenommen habe, jeden Tag etwas zu machen, was er möchte. Ich weiß schon vorher, dass das nichts wird: Ich werde alleine treten müssen und er wird nicht rutschen. Aber das Kind ist heute mal wieder unbeirrbar und so mieten wir das Ding eben.

Natürlich kommt alles, wie erwartet. Soll ich jetzt sauer sein? Auf ihn? Auf mich? Ach was!

 

Dann rutsche eben ich! Wenn es nur nicht so schwer wäre, sich aus dem Wasser wieder auf dieses elende Tretboot zu hieven.

Zum Glück ist es bewölkt, so dass ich wenigstens keine Zuschauer dabei habe. Und es gibt ja noch diese Rolltechnik. Die von den Robben. Oder war das bei den Walen? Wenn sie von Aktivisten wieder ins Meer zurückgeschoben werden?

 

Egal. Ich bin mehrfach gerutscht!

Iguazu in der Horizontalen...

Am Nachmittag fahren wir nach Kuldika , das uns wärmstens empfohlen wird und tuckern dort ganz Touri-like mit einem kleinen Bähnchen durch die Stadt. Alles wird im Begleitfilmchen, das mit englischen Untertiteln auch für mich verständlich ist, gepriesen und über den Klee gelobt. Ich grinse ein wenig in mich hinein, aber klar ist: Ein so kleines Land wie Lettland hat auch von allem eine älteste, größte, breiteste, teuerste Attraktionen – man muss einfach nur auf nationaler Ebene vergleichen...

 

Vielleicht haben wir aber auch schon zu viel gesehen und sind daher abgestumpft. Nicht einmal der als Publikumsmagnet fungierende längste Wasserfall Europas haut uns vom Hocker, da er zwar mit seinen 240 Metern wirklich lang, aber mit knapp 2 Metern Höhe nicht wirklich hoch ist. Es handelt sich hier also quasi um die Iguazu-Fälle in der Horizontalen – naja, fast!

 

Phantastisch dagegen finde ich, dass in diesem kleinen Örtchen ein hübsch eingerichteter Unverpackt-Laden zu finden ist. 

Schlaflos in Kolka...

Auch diese Nacht schlafe ich sehr spät ein und dann auch noch unruhig weiter. Wir sind so spät in Kolka angekommen, dass ich mir den Platz, an dem wir nächtigen, nicht ausreichend anschauen konnte und daher bei jedem neu parkenden Wagen erschrecke. Wie schön wäre es jetzt, wenn jemand da wäre, dem ich innerlich die Aufgabe für die Sicherheit zu sorgen und an meiner statt Angst zu haben, übertragen könnte. Der Moggel darf es jedenfalls nicht sein. Leider bietet sich sonst niemand an...

 

Also habe ich eben selbst Angst. Wovor eigentlich? In meinem Kopf tauchen die grusligsten Szenen auf, die ich auf den Sommerkinderfreizeiten in meiner Kindheit gehört habe. Das sollte man einfach nicht machen: Kleinen Kindern solche Geschichten erzählen. Ich nehme mir fest vor, meinem Kind diese Bilder zu ersparen. Ich trage sie nun schon bald 40 Jahre mit mir rum. Vor allem die aus dieser einen Geschichte... Ich kann sie ja jetzt schlecht erzählen. Diese eine eben, wo mit dem abgehackten Kopf auf das Autodach geschlagen wird... Ups!

Links rum oder rechts rum?

Am nächsten Morgen laden wir Rad und Fahrradanhänger ab, denn ich habe eine wunderschöne 51 km lange Tour um das Kap gefunden (www.outdooractive.com/mobile/de/route/mountainbike/lettland/lettland-kap-kolka-der-kreis-von-slitere/117156370/?utm_medium=grcode#dm0).

 

Vom Parkplatz aus fahre ich links, denn ich weiß, dass das Kap rechts liegt und ich möchte mir die letzte Pause auf der Tour für die Stelle aufheben, an der der Golf von Riga und die Ostsee aufeinandertreffen. Die Route führt relativ lange auf der wenig befahrenen Straße und dann durch den Wald.

 

Unsere Mittagspause machen wir am Meer und beschließen dann, nicht mehr zum ausgeschilderten Weg zurückzukehren, sondern die restlichen 20 km ganz nah am Wasser, dort wo der Sand relativ hart ist, zu fahren. Ich war noch nie mit dem Fahrrad so nah am Meer und es macht unheimlich viel Spaß. 

 Vor allem, da wir auf diesen 20 km kaum einer Handvoll Menschen begegnen. Als es dann zu regnen anfängt, bin ich vollständig begeistert und fahre nur im Bikini weiter. Wer weiß, wann es aufhört und dann kann ich trockene Kleidung gebrauchen. Insbesondere, wenn wir uns noch etwas anschauen wollen und mir dann die Wärme vom Radfahren fehlt. Es muss ein ganz besonderes Bild gewesen sein: Frau im Bikini fährt im strömenden Regen mit einem telefonierenden Kind im Anhänger wie wild am Strand Fahrrad. Fast schade, dass niemand das fotografiert hat!

 

Als wir bei den Touristen am Kap ankommen, ziehe ich mich natürlich wieder an und bemerke auf dem ersten Straßenschild: Das Kap ist nur 0,9 km von unserem Parkplatz entfernt. Wie schön, dass ich 50,1 km zurückgelegt habe, um dort anzukommen, wo ich in 15 Minuten zu Fuß gewesen wäre. Ich störe mich nicht daran; ganz im Gegenteil: So können wir am nächsten Morgen bei Sonnenschein noch einen schönen Strandspaziergang zum Kap machen und alles in trockenen Kleidern besichtigen.

Den Rest des Tages verbringen wir mit damit Rad und Hänger zu waschen, festzustellen, dass wir am Hänger nun einen Platten haben, zu duschen, Kniffel zu spielen und dann etwas ganz Leckeres zu kochen.

 

In der zweiten Nacht schlafe ich besser, aber dennoch nicht sonderlich viel. Die Nachrichten, die ich über Deutschland lese, machen mir Angst. Ich fürchte einen weiteren Winter ohne die Möglichkeit die Dinge zu tun, die mir und meiner Seele gut tun. Ich fürchte weiterhin eingeschränkte Kontakte und Freizeitmöglichkeiten für meinen Moggel-Schatz. Und ich fürchte, dass wir im Frühjahr nicht ohne weiteres das Land für den zweiten Teil unserer Reise verlassen können. Das alles macht mir Kopfzerbrechen und lässt mich schlecht einschlafen.

Am Morgen wandern wir auf einer 4 km langen Route nochmals um das Kap. Die meiste Zeit davon barfuß am Strand. Das ist unheimlich entspannend. Auch, weil wir keinerlei Zeitdruck haben und uns jeder Muschel und jedem Baumstamm widmen können, der am Strand liegt.

Ein Loch ist im Reifen...

Nach Kichererbsen-Reis mit Gemüse – ich will mich ja gesund ernähren – brechen wir rechtzeitig zum nächsten Regen auf Richtung Liepaja. Gerne möchte ich unterwegs in einer Pause zu Fuß noch einen See umrunden, aber der leichte Regen wandelt sich strömenden Hunde-und-Katzen-Regen. Ab und an schafft der Scheibenwischer die Wassermasse nicht mehr und wir können nur mit 40 km/h auf der ausnahmsweise guten Straße fahren. 

 

In Liepaja machen wir uns wegen des Wetters gleich daran einen Fahrradladen zu suchen. Wer weiß, wie lange die für die Reparatur des Reifens brauchen? Ich rechne – mit Glück – mit 1-2 Tagen und einer Rechnung von etwas 25 Euro, aber da habe ich mich schwer getäuscht. Wir betreten den Laden, dürfen gleich weiter zur Werkstatt und haben 15 Minuten später einen neuen Schlauch im Reifen. Darüber werden uns auch alle anderen Reifen aufgepumpt und ein weiterer Ersatzschlauch ausgehändigt. Wir zahlen dafür 12 Euro. Ich bin völlig aus dem Häuschen und bedanke mich überschwänglich. So können wir morgen gleich weiter fahren.

 

Da es weiterhin regnet gehen wir noch in aller Ruhe unseren Lebensmittel- und den Dieselvorrat auffüllen.

SANKT NICHOLAS

Da ich immer weniger Lust auf die Besichtigung von Städten verspüre, suchen wir uns in Liepaja nur das Karosta-Viertel aus (https://www.latvia.travel/de/sehenswurdigkeit/kriegshafen-karosta-von-liepaja), das wir gut mit dem Fahrrad und dem neu reparierten Hänger erreichen können.

 

Das erste Mal im Leben sehe ich mit der Oskar-Kalpaks-Brücke eine Drehbrücke. Die Brücke ist aus dem Jahr 1906 und hat mit ihrer Fahrbahn aus Holz und den alten Straßenlaternen wirklich Charme.

 

Auch die russisch-orthodoxe St. Nicolas gefällt uns gut (https://liepaja.travel/de/sehen-und-tun/die-orthodoxe-marinekathedrale-von-st-nikolaus/) Ihre goldenen Türme leuchten uns schon aus der Ferne entgegen. Die russisch sprechenden alten Damen im Inneren bieten uns gleich eine Marien-Ikone zum Kauf an, die genau die Farben von Maltes Innenausstattung hat. Da kann ich doch nicht „Nein“ sagen; auch nicht, wenn ich damit nun schon das dritte Souvenir für mich selbst aus Lettland mitnehme...

Geschüttelt - nicht gerührt...

Am Nachmittag möchte ich mit dem Moggel noch den für diese Gegend typischen Räucherfisch probieren. Dafür wollen wir in ein kleines Freiluftmuseum bei Pape. 8 km unbefestigte Strecke erwarten uns, bevor wir dort vor verschlossenen Türen ankommen. 8 km, in denen das komplette Innenleben von Malte von oben bis unten und vorne bis hinten durchgeschüttelt wird, denn „unbefestige Straße“ bedeutet in Lettland: Schotterstraße mit sehr deutlichen Spuren von großen Planierraupenreifen.

 

Ich schwöre auf dem Hinweg, dass ich diese Straße nicht zurückfahre, aber da das Museum geschlossen ist und die Alternative diesen Rückweg verlangt... breche ich meinen Schwur kurz darauf. Eine kluge Angestellte des örtlichen Informationcenter meint dazu nur: „We do not have the infrastructure to handle lots of tourists. Our streets are how we keep them away!“.

 

Also ruckeln wir die ganze Strecke über auf den mangelhaften Straßenausbau schimpfend und Malte angesichts ihrer Leistung streichelnd wieder zurück. 

Ich bin genervt. Unser Alternativprogramm in Rucava umfasst einen Besuch in einem Kaffee mit Handarbeitsladen und hoffentlich ein frisches Holzofenbrot, das eine willkommene Alternative zu den hier sonst erhältlichen Weichteilen wäre. Im Kaffee bestellt der Moggelmann einen Kaba mit einem selbstgebackenen Schokoladenkuchen, der so lecker aussieht, dass auch ich einen Bissen versuchen möchte. 

 

Wahnsinn! Wahnsinn! Wirklich Wahnsinn! Das ist der beste Schokoladenkuchen, den ich je gegessen habe. Was für ein Glück, dass dieses Fischermuseum zu hatte. Und dass wir auch noch ein ganzes Kilo Brot erstehen, ist nur noch das I-Tüpfelchen dieses Tages.

Halt nein, das I-Tüpfelchen ist, dass wir ohne jede Kontrolle nach Litauen einreisen und dort in einem Dorf übernachten, das just an diesem Wochenende Dorffest feiert. Das Programm für den nächsten Tag steht damit auch schon. Und endlich mal unter vielen, vielen Landsleuten. Ich bin gespannt...

 

Diese Woche war eine sehr volle und wirklich wunderschöne Woche, auf die ich dankbar zurückblicke.

 

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